Die strukturellen Besonderheiten des deutschen Satzes

Die obengenannten 3 Merkmale sind einem jeden Satz einer jeden Sprache eigen. Neben diesen 3 Merkmalen besitzt der deutsche Satz einige strukturelle Besonderheiten, die die Eigentümlichkeit(die Spezifik) der deutschen Sprache ausmachen. Das sind:

1. Der deutsche Satz ist nominativisch. Das grammatische Subjekt erscheint im deutschen Satz in der Nominativform. Der nominativische Charakter des Satzes ist den meisten europäischen Sprachen eigen. Das ist der allgemeine Zug aller indoeuropäischen Sprachen. Im Deutschen ist er aber besonders konsequent durchgeführt. In dieser Hinsicht bestehen wesentliche Unterschiede im Vergleich mit den slawischen Sprachen, z-B- mit dem Russischen, wo das grammatische Subjekt oft im Genitiv und Dativ erscheint. Vgl.: Народу было много. Мне думается / снилось. Ему казалось.

Im Russischen sind auch subjektlose Sätze sehr verbreitet, was im Deutschen nicht der Fall ist. Vgl.: Приду завтра. Иду и вижу. Не понимаю тебя.

Die Dativ- und Akkusativform des grammatischen Subjekts ist im Deutschen zwar möglich ( Mir scheint. Mich friert. Der Gäste waren viele.) Aber solche Fälle kommen im Deutschen selten vor. Sie sind für die deutsche Sprache nicht typisch. Parallel existieren dabei die Sätze mit dem formalen Subjekt „es“: Es scheint mir. Es friert mich.

2. Der deutsche Satz ist verbal. Er hat als Regel das Verbum finitum (die Personalform des Verbs). Die Verbalität des Satzes ist auch eine allgemein indoeuropäische Erscheinung). Aber auch dieser Zug ist im Deutschen besonders konsequent durchgeführt. Das betrifft insbesondere das zusammengesetzte nominale Prädikat, wo die Kopula unentbehrlich ist. Vgl.: Die Rose ist schön. Ich bin Lehrer.

Im Russischen sind solche Sätze verblos: Роза красивая. Я учитель.

Sie sind im Russischen sehr verbreitet, was in der deutschen Sprache nicht der Fall ist. Im Deutschen gibt es zwar verblose Sätze, sie sind aber hier nicht verbreitet und funktional sehr begrenzt.

3. Aus diesen 2 Besonderheiten ergibt sich die dritte strukturelle Besonderheit des deutschen Satzes – seine Zweigliedrigkeit. Da im deutschen Satz das grammatische Subjekt und das Verbum finitum als Regel vorhanden sind, ist der deutsche Satz meist zweigliedrig. Der zweigliedrige verbale Satz ist der Grundtypus des deutschen Satzes. Das grammatische Subjekt und die Personalform des Verbs bilden das Gerüst des deutschen Satzes. Dank der prädikativen Beziehung zwischen Subjekt und Prädikat entsteht der Satz als solcher. Die Subjekt-Prädikat-Struktur ist also die führende Struktur des Satzes im Deutschen.

4. Die 4. strukturelle Besonderheit des deutschen Satzes betrifft die Wortfolge, und zwar die Rahmenkonstruktion, die durch die Distanzierung der Prädikatsteile entsteht. Die Rahmenkonstruktion, anders genannt der prädikative Rahmen oder die verbale Klammer, bildet die Spezifik des deutschen Satzes.

Das Gesagte soll nicht ausschließen, dass im Deutschen auch solche Sätze vorkommen, die subjektlos, verblos, klammerlos sind oder in denen die Rahmenkonstruktion verletzt ist. Vgl.: Alles klar. Mir graut. Die Kinder gehen zurück in den Schulhof. Der Wind heulte auf vor Wut.

Aber alle diese Sätze sind doch irgendwie auf den Grundtypus des deutschen Satzes bezogen. Sie stützen sich in ihrer Existenz auf die führende verbale und zweigliedrige Struktur.

Die Begriffe „Elementarsatz“ und „Ganzsatz“

Im grammatischen Plan kann der Satz einfach und komplex sein. Ein komplexer Satz besteht aus zwei oder mehreren Sätzen, jeder von denen die Subjekt-Prädikat-Struktur hat. Der komplexe Satz gliedert sich also in einige Teile, in einige Sätze, die man Teilsätze nennt. Vgl.:

Nun war Georg zufrieden, denn Christa stand schon in der Tür.

Dieser komplexe Satz besteht aus 2 Teilsätzen, die sogar ohne Veränderung ihrer Struktur als selbständige Sätze fungieren können. Die Charakteristiken des einfachen und des komplexen Satzes sind aber unterschiedlich. Der wesentliche Unterschied besteht darin, dass die Teilsätze des komplexen Satzes semantisch, strukturell und intonatorisch nicht abgeschlossen sein können. Vgl.: Die Umstände lagen so, dass die Polizei eingriff.

Für den einfachen Satz sind diese Charakteristiken obligatorisch. In diesem Sinne sind die Begriffe „Elementarsatz“ und „Ganzsatz“ von großer Bedeutung, besonders für die Erforschung des komplexen Satzes. Diese Termini finden wir bei W. Admoni, O. Moskalskaja, E. Gulyga und anderen Sprachforschern.

Unter dem Elementarsatz verstehen diese Sprachforscher einen Satz, der die wichtigsten strukturellen Merkmale eines einfachen Satzes besitzt, vor allem die Subjekt-Prädikat-Struktur, unabhängig davon, ob er ein einfacher Satz, ein Hauptsatz oder ein Gliedsatz ist. Semantische, strukturelle und intonatorische Abgeschlossenheit ist für den Elementarsatz nicht obligatorisch. Vgl.: Ich habe den Brief schon beantwortet. Ich kann nicht mitarbeiten, weil ich krank bin.

Unter dem Ganzsatz versteht man einen Satz, der semantische, strukturelle und intonatorische Abgeschlossenheit besitzt, unabhängig davon, ob er ein einfacher Satz, eine Satzreihe oder ein Satzgefüge ist. Diese 3 Merkmale sind also für den Ganzsatz obligatorisch. Die Teilsätze eines Ganzsatzes, darunter auch des komplexen Satzes, liegen unter einem Intonationsbogen.